Schachmuseum Löberitz

Ein Buch zur Schachgeschichte des Landes Sachsen-Anhalt von Konrad Reiß

Am 18. Juli 1877 kam es in Leipzig anlässlich einer Feier zum 50. Schachjubiläum des Vorkämpfers des Deutschen Schachs Adolf Anderssen zur Gründung des "Deutschen Schachbundes". Damit waren die Schachspieler allen anderen Sportvereinigungen weit voraus. Die ersten richtungweisenden Kongresse dieses neugegründeten Bundes fanden 1879 in Leipzig und 1881 in Berlin statt.

Für die mitteldeutschen Vereine war die Teilnahme durch das immer stärker in Mode kommende Transportmittel "Eisenbahn" gut möglich. Für die folgenden Kongresse in Nürnberg, Hamburg, Frankfurt / Main  und Breslau galt das auch, doch die Entfernungen und der dabei zu veranschlagende Zeitaufwand waren erheblich.
Hier war der Deutsche Schachbund als Zentralinstitution überfordert und einfach eine Nummer zu groß. Es musste eine, den lokalen Verhältnissen entsprechende Lösung gefunden werden, die die Vorteile des "Deutschen Schachbundes" aufrechterhielt, aber auch durch eine örtliche Präsenz die Nachteile vermied.
Diese Lösung sollte gefunden werden, denn schon wenige Jahre nach der Gründung des Deutschen Schachbundes gab es ernsthafte Bestrebungen, das schachliche Leben auf den lokalen Ebenen zu verbessern. Dabei waren die im Halleschem Raum existierenden Vereine am schnellsten. Die gemeinsam ins Visier genommenen Ziele beflügelten die Ideen.

Am Sonntag, dem 8. Oktober 1882 trafen sich in der nordöstlich von Halle/Saale gelegenen Stadt Zörbig die Vertreter dreier Vereine, um in "Bettmann's Hotel" einen Schachbund zu gründen. Diese Vereinigung erhielt den Namen "Saale-Schachbund" und wurde somit der erste Landesverband des Deutschen Schachbundes.

Gründungsmitglieder waren die Schachclubs aus Halle, Löberitz und Zörbig. Sein Name bezieht sich auf den die Region durchfließenden Fluss. Trotz einiger Versuche zur Änderung des Namens hielten die Verbandsmitglieder der Saale die Treue. Selbst aus der Tatsache heraus, dass das Verbandsgebiet eine weitaus größere Ausdehnung hatte. Im Norden waren das die Altmark, im Süden der Burgenlandkreis, im Westen reichte es hinein nach Thüringen und den Harz sowie Richtung Osten weit über die Elbe hinweg. Der Saale-Schachbund erlebte 1945 mit dem Untergang des nationalsozialistischen Deutschen Reiches am Ende des 2. Weltkrieges ein abruptes Ende.

Am Anfang des Buchers sollten unbedingt die Fragen gestellt werden: Warum und für welch Klientel ist es geschrieben worden? Zur Beantwortung muss etwas in die Vergangenheit geschaut werden. Ganz speziell zu dem Verbandsende im Jahr 1945.

Das Verbandsgebiet des Saale-Schachbundes lag in der sowjetischen Besatzungszone; bzw. später auf dem Territorium der neu gegründeten Deutschen Demokratischen Republik. Die sportpolitischen Leitgedanken basierten in diesem neuen Gesellschaftssystem auf einer systemnahen Sportentwicklung. Es war eine Abkehr von der bürgerlichen und eigenbestimmten Sportbewegung. Sie akzeptierte wenige Ausnahmen.
Eine freie Sportentwicklung war nur bedingt möglich. Bestes Beispiel ist der staatlich verordnete Verzicht auf eine Teilnahme von Schachsportlern an Schacholympiaden oder Turnieren im westlichen Ausland.
Dass dennoch in der Zeit der DDR gut organisiert und erfolgreich Schach gespielt wurde, steht hier außer Frage.
Die erfolgreiche Geschichte des Saale-Schachbundes verschwand, wie bei allen anderen Sportverbänden, in einer Schublade der Geschichte für fast 45 Jahre.

In den drei westlichen Besatzungszonen wurde mit der Tradition des Deutschen Schachbundes und seiner integrierten Landesverbände völlig anders umgegangen. Die 12 Jahre Naziherrschaft wurden einfach ausgespart und man begann auf der Zeit vor 1933 aufzubauen. Sicherlich auch nicht in allen Bereichen optimal. So kamen viele „Nazi-Funktionäre“ und „Mitläufer“ in der westdeutschen Schachorganisation in einflussreiche Positionen.

Doch die Geschichte der dortigen Landesverbände lebte weiter und erhielt nach 1945 schnell die Möglichkeit, zu neuen Ufern aufzubrechen.

Zurück zum Saale-Schachbund.  Erst nach der politischen Wende 1989/90 begab sich das Schach wieder in die Obhut des Deutschen Schachbunds und die neu oder wieder entstandenen Bundesländer gründeten eigenständige oder belebten die früher schon bestehenden Landesverbände.
Leider wurde im Land Sachsen-Anhalt mangels historischer Kenntnisse vieler alter und in der DDR groß gewordener Funktionsträger und im Übereifer eines neuen Aufbruchs nicht wieder der Name „Saale-Schachbund“ für den Landesschachverband verwendet. Der Name war inzwischen schon zu lange aus dem Gedächtnis der Akteure verschwunden.
Eine Fortsetzung der Tradition war also nicht so richtig zu erkennen.

Dieses Buch soll nunmehr die Historie des Saale-Schachbundes von seiner Gründung bis zum Untergang zusammenfassen. Da gibt es vieles zu berichten, aber einiges ist auch im Dunkel der Geschichte verschwunden. Nach jedem Jahr wird bekanntlich die Quellenlage schlechter.
Durch das Buch bietet sich eine gute Gelegenheit, die bisher bestehende Lücke in der Schachgeschichte Sachsen-Anhalts zu schließen und gleichzeitig die in den Saale-Schachbund involvierten Schachspieler, Amtsträger und Vereine zu würdigen.
Viele der Akteure des Saale-Schachbundes beeinflussten generell das schachliche Geschehen in Deutschland, ob als Spieler oder Funktionär. Zu nennen sind hier Siegbert Tarrasch, Bernhard Hülsen, Paul Lipke, Walther Freiherr von Holzhausen, Rudolf L'hermet, Bruno Buchholz, August Preuße, Dr. Fritz Kiok, Hans Platz oder Fritz Herrmann.

Bei der Beantwortung der zweiten Frage sieht es wesentlich düsterer aus, denn es gibt nicht viele, die sich für die regionale oder sogar lokale Schachgeschichte interessieren. Dabei kann Geschichte sehr lehrreich sein, denn dadurch können schon einmal gemachte Fehler aus der Vergangenheit vermieden werden und wiederum könnte auf positiven Aspekten aufgebaut werden.

Ein weiterer wichtiger Grund ist aber die Tatsache, dass das Buch ein auf Papier verewigter Wissensspeicher ist und sich auf lange Zeit in einen Wettlauf mit den Digitalmedien begeben wird, von dem wir heute noch nicht wissen, wer hier den Sieg davonträgt.
So war es wichtig, dass in die Geschichte des Saale-Schachbundes auch schachliche Begebenheiten aus dem Verbandsgebiet als Hintergrundinformation erwähnt werden. Dadurch erhält man sogleich einen besseren Blick auf die jeweils beschriebene Zeit.
Eine umfassende Quellenangabe soll der zukünftigen Forschung einen schnellen Zugang zu den primären Informationen ermöglichen.

Schwerpunkte in diesem Buch sind natürlich die Kongresse des Saale-Schachbundes. Hier sind die vorliegenden Quellen und Informationen ganz unterschiedlich, einmal oft lückenhaft und unvollständig und das andere Mal sehr üppig und fundiert.
Neben den vorhandenen Dokumenten des Schachmuseums Löberitz und Bücher der Bibliothek „Theresia v. Avila“ konnten zahlreiche neue Belege und Informationen mit in das Buch aufgenommen werden.

Sehr aufschlussreich waren auch die handschriftlichen Chroniken und Protokollbücher des Bernburger Schachklubs. Sie befinden sich jetzt im Bestand des Schachmuseums Löberitz und werden dort zurzeit digitalisiert.
Hinzu kamen die handschriftlichen Chroniken zweier weiterer Verbandsmitglieder, die der Schachklubs aus Greppin und Holzweißig.

Eine weitere wesentliche Quelle sind die erst 2019 dem Museum von dem Ascherslebener Günter Thormann übergebenen zwei Protokollbücher des Harzer Schachbundes. Diese liegen inzwischen digitalisiert vor und sind somit für jeden Interessenten abrufbar.

Inzwischen erhielt das Schachmuseum Löberitz von dem Brandenburger Alfred Pieske den schachlichen Nachlass seines Vaters Walter Pieske aus Dessau. Ein wunderbarer Fundus alter Akten und Dokumente aus der Zeit zwischen 1884 und 1920. Ein Großteil davon wird in diesem Buch erstmalig veröffentlicht.

Weitere Informationen konnten im Heimatmuseum Zörbig, hier vor allem durch den Nachlass des Schachliteraten Reinhold Schmidt, sowie den Stadtarchiven in Halle, Magdeburg, Dessau und Schönebeck gesammelt werden. 2019 kam als weitere Institution noch das Landesarchiv von Sachsen-Anhalt, Abt. Dessau, hinzu. Alles zusammen auf 356 Seiten + 16 Seiten Titelei komprimiert und reich bebildert.

Es ist ein Weg durch die Geschichte. Beginnend in einer euphorischen Zeit nach der Reichsgründung 1871, geht es zeitlich weiter durch das Wilhelminische Kaiserreich, durch die Zeit des 1. Weltkrieges, durch die Weimarer Republik, die bedrückende Zeit der Diktatur des Nationalsozialismus bis hin zum 2. Weltkrieg.
Dessen Ende verursachte auch das Ende des Saale-Schachbundes. Im Anschluss und in einer sich vollziehenden politischen Neuordnung gab es weder Zeit noch Raum für eine Würdigung des Saale-Schachbundes.
Diese soll durch dieses Buch für den Vorgänger des zur jetzigen Zeit agierenden Landesschachverbandes von Sachsen-Anhalt erfolgen. Es ist ein Weg durch die Schachgeschichte Mitteldeutschlands im Allgemeinen und die des Landes Sachsen-Anhalt im Speziellen. Ein Gebiet, welches von der Saale, die dem Verband ihren Namen gab, durchflossen wird.